Kreativquartiere: Bewerben, nicht bewegen…

Das Ruhrgebiet setzt bei seiner wirtschaftlichen Erneuerung auf die Entwicklung von Kreativquartieren und das in großer Zahl: Mehr als zwanzig von ihnen bewerben die Städte mittlerweile, acht sind offizieller Teil des Programms der Kulturhauptstadt. Volker Eichener, Rektor der EBZ Business School und einer der führenden Immobilienexperten des Ruhrgebiets, hat an diesem Konzept so seine Zweifel. Er sieht die größten Chancen eher in den sozial benachteiligten Stadtteilen.

„Vieles, was im Ruhrgebiet gemacht wird, hat mit mangeldem Selbstbewusstsein zu tun. Ruhrtriennale, Konzerthäuser oder auch das Kulturhauptstadtprogramm: All das soll zeigen, dass es hier genau so ist wie in Hannover oder Stuttgart.“ Für Prof. Dr. Volker Eichener, dem Rektor der EBZ Business School aus Bochum, sollten solche Städte für das Ruhrgebiet nicht der Maßstab sein: „Die haben gut eine halbe Million Einwohner, wir haben fünf Millionen. Wir müssen unseren eigenen Weg finden und dürfen nicht deutlich kleinere Städte kopieren.“

Man müsse das Ruhrgebiet als eine Stadt sehen: „Die Stadtgrenzen sind künstlich und unwichtig: Die Menschen ignorieren sie bei der Suche nach Jobs, bei der Suche nach Wohnungen und auch wenn sie abends rausgehen. Nur der Nahverkehr im Ruhrgebiet ist ein großes Hindernis. Er einer Region wie dem Ruhrgebiet einfach nur unwürdig.“

Und auch die Kreativquartiere, die im Augenblick anscheinend im Ruhrgebiet im Dutzend billiger zu haben sind, hält er nicht für ausreichend: „Rüttenscheid hat Potential, das Kreuzviertel in Dortmund auch. Beim Bochumer Bermudadreieck wird es schon schwieriger.“ Gute Kreativquartiere hätten ein spannendes gastronomisches Angebot, preiswerte und hochwertige Wohnungen in allen Größen, dazu Menschen mit den unterschiedlichsten Jobs und ein spannendes Kulturangebot – gerne in kleinen Clubs oder dunklen Kellern. „Versuchen sie mal in Bochum eine Vier-Zimmer-Wohnung in vernünftiger Ausstattung in der Innenstadt zu bekommen. Das ist fast unmöglich. In Rüttenscheid oder im Kreuzviertel sieht das schon anders aus. Da stimmt das Immobilienangebot.“

Und die anderen Kreativviertel? „Die Städte wollen nichts bewegen, sie wollen Werbung für sich selbst machen. Was das bringt? Nicht viel.“

Nur als eine Stadt betrachtet, macht das Ruhregebiet Sinn. Jede einzelne Stadt würde schon bundesweit nicht wahrgenommen – aber für eine Region der Größe des Ruhrgebiets sei es auch hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Zukunft wichtig, dass sie international wahrgenommen wird.

„Wir stehen in einem internationalen Wettbewerb um intelligente, gut ausgebildete Menschen und müssen uns fragen: Was erwarten die von einer Stadt?“

Eichener führt den Blog-Beitrag einer New Yorkerin an, in dem sie erklärt, was sie an ihrer Stadt fasziniert. Ganz viele unterschiedliche Dinge könne man in New York tun: Spazierengehen, Sport treiben, Sport anschauen. Ausstellungen und Vernissagen besuchen, essen gehen, Clubs besuchen. Immer gibt es viel zu entdecken. „Die Frau erklärte in dem Beitrag, dass sie New York liebt wegen der intellektuell stimulierenden Menschen. Sie liebt New York weil es spannend ist“, sagt Eichener. Und ohne das Ruhrgebiet mit New York vergleichen zu wollen, erklärt er, was das größte noch nicht gehobene Kapital des Ruhrgebiets ist: Seine Heterogenität.

„Heterogenität schafft Spannungen und Konflikte. Das gehörte schon immer zur Stadt dazu und mach ihre Stärke aus und seit jeher zum Zentrum aller Entwicklungen gemacht. „Eichener bringt es auf eine Formel: „Kreativität kommt von Spannung und Spannung kommt von Heterogenität. Das Ruhrgebiet muss die Vorteile seiner Heterogenität erkennen, um ein Standort zu werden, der junge qualifizierte Menschen anzieht und der seine eigenen Jugendlichen qualifizieren muss. Nur dann kommen die innovativen Unternehmen. Ich will, dass wir dahin kommen, dass ein Absolvent aus München, der einen Job im Revier bekommt, seine Freundin anruft und sagt: „Ich habe das große Los gezogen. Ich kann ins Ruhrgebiet ziehen.“

Es sind dickere Bretter, die gebohrt werden müssen, um das Ruhrgebiet attraktiv zu machen, und sie sollen an Stellen gebohrt werden, die die meisten Planer am liebsten vergessen würden. Aber es sind die Orte, die das Ruhrgebiet einzigartig machen und die keine Kopie alter Residenzstädte mittlerer Größe sind. Eichener will, dass sich Planer und Politik in Zukunft mehr um die Viertel kümmern, die heute noch als Problemstadtteile gelten. Die Dortmunder Nordstadt, Duisburg-Marxloh oder Essen-Stoppenberg. „Diese Viertel haben die größten Potentiale. Das Ruhrgebiet muss erkennen, wie wichtig die Migranten für seine künftige Entwicklung sind.“ Migranten seien wagemutige Unternehmer, sie seien jünger als der Durchschnitt der deutschen Bevölkerung. „Das Stichwort heißt Empowerment. Im Augenblick schauen alle auf die Probleme der Migranten. Wir müssen aber auf ihre Potentiale schauen und ihnen helfen, sie zu entwickeln.“ Das hieße, im Kulturbereich auf türkische HipHopper und Comedians zuzugehen, Standorte wie Zollverein für die umliegenden Stadtteile zu öffnen: „Wir brauchen auf Zollverein einen Handwerkerhof, in dem Handwerksmeister jungen Türken helfen, kleine Unternehmen zu gründen. Da muss eine Schule hin. Eine Stadtteilbücherei und um Zollverein müssen spannende Lokale entstehen.“ Nach Eicheners Vision sollen dort türkische Gastronomen dabei unterstützt werden, sich weiter zu entwickeln und Gäste unter den Zollverein-Besuchern gewinnen.

„Diese Viertel müssen wir entwickeln, denn in ihnen entscheidet sich die Zukunft des Ruhrgebiets.“

Dieser Artikel erschien auch im Transfer-Magazin

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JK
JK
14 Jahre zuvor

Die muss man nicht entwickel komm mal nach ückendorf, da ist diese Risko- Unternehmen-leben von Migranten schon immer.

Mr. Chicken z.B., die Bauen sich grade ein 5 Millionen Tower, an den Stadt grenzen zu Ückendorf. Es sind Türken, die mal klein Angefangen haben. Libanesische Autohändler gehören genau so wie Italenische und Türkische Cafes dazu. Einer der besten Döner Läden ist dort. Es schmeckt wie in der Türkei. Cafes mit den besten Espressos der Welt in den man Unterwelt Leute begegnend. All das und viel mehr gibt es in Gelsenkirchen-Ückendorf, schon immer.

trackback
14 Jahre zuvor

Links anne Ruhr/Links zur Wahl (30.04.2010)…

Essen: Spardebatte: RWE-Chefs wollen sich „nicht als Idioten hinstellen lassen“ (DerWesten) – Die Vorwürfe des Essener Oberbürgermeisters gegenüber Rot-Weiss Essen (RWE) lassen die Vereinsverantwortlichen nicht ruhen. ….

Frank
14 Jahre zuvor

@J(F)K: Ücki kann ich auch nur empfehlen. Vor allem die Eisdiele in der Bergmannstrasse, in der sich manche auch Pommes bestellen 😉

@Stefan: Interessantes Interview. Die Erkenntnis, dass es in Deutschland die Einwanderer sind, die den Unternehmermut haben, kann man nicht breit genug streuen.

Arnold Voß
Arnold Voß
14 Jahre zuvor

“Das Stichwort heißt Empowerment. Im Augenblick schauen alle auf die Probleme der Migranten. Wir müssen aber auf ihre Potentiale schauen und ihnen helfen, sie zu entwickeln.”

Diese Erkenntnis ist richtig, kommt jedoch leider im Ruhrgebiet viel zu spät. Selbst jetzt gibt es außer den (wenigen) mutigen und unabhängigen Köpfen wie z.B. Volker Eichener viel zu wenige der Verantwortlichen, die solchen Worte klar und deutlich aussprechen und ihnen obendrein auch noch Taten folgen lassen.

Die Lage in vielen Einwandererstadtteilen des Ruhrgebietes ist, gerade was die Kinder und Jugendlichen betrifft, auf die hier so gesetzt wird, verdammt beschissen. Der allergrößte Teil der dortigen Bewohner würden schon das Wort Empowerment gar nicht verstehen.

Die zentrale Voraussetzung für eine erfolgreiche Unternehmensbildung, d.h. eine die über die Selbst- und Familienausbeutung in noch einer weiteren Gyrosbraterei hinausgeht, ist Bildungsförderung. Der diesbezüglich Nachholbedarf ist auf Grund der Versäumnisse mindestens der letzten 20! Jahre so riesig, dass er in den kommenden Zeiten leerer Kassen nur dann zu finanzieren ist, wenn die Mehrheitsgesellschaft zu schmerzhaften Einschnitten bereit ist.

Ob sie das zu Gunsten ihrer Einwanderer tun wird, halte ich für unwahrscheinlich, bzw. wird es hier schwierige Debatten geben, die die meisten Lokal- und Landespolitiker nur ungern führen werden.

Arnold Voss
14 Jahre zuvor

“Versuchen sie mal in Bochum eine Vier-Zimmer-Wohnung in vernünftiger Ausstattung in der Innenstadt zu bekommen. Das ist fast unmöglich. In Rüttenscheid oder im Kreuzviertel sieht das schon anders aus. Da stimmt das Immobilienangebot.“

Noch schwieriger ist es dort ein Loft zu finden in dem man als Kreativer Arbeiten und Wohnen verbinden kann. Die Angebote die vor allem über die entsprechende Raumhöhe und Helligkeit verfügen sind fast ausschließlich Büro- und Gewerberäume mit den entsprechenden Mieten.

Das gilt auch für andere Lagen in ICE-Bahnhofsnähe im Ruhrgebiet. Die Bereitschaft solche Räume selbst bei längerfristigen Veträgen entsprechend umzubauen (z.B. Einbau eines Bades, Vergrößerung der Küchenbereiche) geht bei den Vermietern gegen Null.

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