„Löw kapiert nicht, dass die Nationalmannschaft wie ein abgetakeltes Plastikprodukt wirkt!“

Das ‚Grotenburg‘-Stadion in Krefeld im Jahre 2016. Quelle: Wikipedia: Foto: Arne Müseler, Lizenz: CC BY-SA 3.0 de

Trotz der aktuell alles überlagernden Corona-Thematik gibt es auch in diesen besonderen Zeiten keine Woche ohne etliche spannende Entwicklungen im Profifußball. Unsere Autoren Peter Hesse und Robin Patzwaldt haben sich auch diesmal wieder über die heißesten Fußball-Themen unterhalten.

Bei ihrem wilden Ritt durch die aus ihrer Sicht spektakulärsten Ereignisse der vergangenen Tage, ging es neben den großen Revierklubs aus Dortmund, Schalke und Bochum diesmal auch um den KFC Uerdingen aus Krefeld, die Deutsche Nationalmannschaft und den ruhmreichen FC Liverpool aus England, bei dem der Ex-BVB-Coach Jürgen Klopp seit 2015 sein Unwesen treibt. Außerdem haben die beiden schon einmal über das Fußballbuch des Jahres 2020 nachgedacht.

Peter Hesse: Hallo Robin, in der Neuen Züricher Zeitung war in den letzten Tagen ein Interview mit Campino, was ich ziemlich gut finde. Campino sagt dort: ››Ich kann einen gewissen Humor im Punkrock entdecken, den ich im Fußball wiedergefunden habe. Sich über sich selbst amüsieren, darüber, dass man acht Stunden lang zu einem völlig unbedeutenden Fußballspiel fährt, um dort mit anderen Trotteln im Auswärtsblock zu stehen, eine schlechte Wurst zu essen, im Regen die Mannschaft verlieren zu sehen und dann wieder nach Hause zu trotten. Darüber, dass man mit seiner Zeit nicht wertvoller umgeht, sondern sie so vergeudet – das ist eine Verweigerung des Leistungsprinzips, die stark an Punk erinnert.‹‹ Mich hat das Buch „Hope Street“ vom Hosen-Sänger sehr begeistert, weil er seine Liebe zum Verein Liverpool FC sehr gut beschreibt – für mich ist es das Fußballbuch des Jahres. Welches Buch würdest du nennen?

Robin Patzwaldt: Hallo Peter! Mein fußballbuch des Jahres? Uh das ist eine schwere Frage. Da gibt es einige Kandidaten. Spontan würde ich hier vielleicht ‚Klopps FC Liverpool‘ von Dietrich Schulze-Marmeling nennen, das im Verlag ‚Die Werkstatt‘ erschienen ist. Das Verbindet sehr schön die Emotionen von Jürgen Klopp und des FC Liverpool. Hm. Ich merke gerade, dass wir dann beide ein Buch über den FC Liverpool favorisieren. OK, dann nenne ich vielleicht besser ‚Echte Liebe‘, das Buch, das Michael Horeni zusammen mit Aki Watzke über dessen Leidenschaft zum BVB geschrieben hat. Aber das ist aus 2019…. Ich brauche da wohl etwas mehr Zeit. Aber das waren meine spontanen Einfälle dazu. In den vergangenen Tagen habe ich mich mehr mit anderen Büchern beschäftigt, welchen über Politik und Naturschönheiten. Ist ja vielleicht auch ein Zeichen in diesen Tagen. Das bringt mich auf ein anderes Thema: In der Frankfurter Rundschau erschien kürzlich ein lesenswerter Artikel, der die Krise in der Beziehung zwischen dem Profifußball und seinen Fans beklagt. Ich sehe das nur teilweise so, denn die Einschaltquoten bei Sky stellen aktuell viele Rekorde auf. Aber, dass die Begeisterung der Fans für die Sache in diesen Tagen eher zurückgeht, das stelle ich auch an mir selber fest. Siehst du den Fußball aktuell auch in einer so dramatischen Krise, wie die Frankfurter Rundschau?

Peter Hesse: Ich glaube das viel eher von dieser Krise Vereine wie Preußen Münster oder Rot Weiß Oberhausen betroffen sind, als der VfB Stuttgart oder Bayer Leverkusen. Und wenn keine Fans im Stadion sind macht mir der BVB nur halb so viel Spaß – kreative Gesänge, die im Spielverlauf entstehen oder die Atmosphäre, die von der Südtribüne kommt – das ist es doch einfach. Oder eine Bierdusche auf der Tribüne nach einem unverhofften Sieg. Aber klar, überall wird das Geld knapp – und die kommende Durststrecke ist noch groß. Das hat man jetzt auch beim KFC Uerdingen zu spüren bekommen, wo nach fünf Jahren der zahlungskräftige russische Mäzen Ponomarev die Brocken hingeworfen hat. Unter seiner Ägide gelang 2017 und 2018 der Durchmarsch von der Oberliga in die 3. Liga. Doch der Russe mit dem dicken Portemonnaie wollte mehr: Spätestens im dritten Drittligajahr sollte es in die 2. Bundesliga gehen, der Verein verpflichtete klangvolle Namen wie Ex-BVB-Liebling Kevin Großkreutz – und legte dafür viel Geld auf den Tisch. Doch die hochbezahlten Fußballprofis lieferten nicht wie gewünscht ab, stattdessen gondelte der Club aus Krefeld von einer Negativ-Schlagzeile zur nächsten. Mehrere Manager und insgesamt 13 (!) Trainer wurden in den letzten fünf Jahren geheuert und gefeuert, darunter so klingende Namen wie Norbert Meier, Stefan Krämer oder Frank Heinemann. Das Ganze wurde flankiert von schmutziger Wäsche, diversen Hassreden und einem nicht immer sauberen Geschäftsgebaren – so manche Gehaltsschlacht wurde vor Gericht ausgetragen. Ponomarev wurde nun scherzhafterweise bei Schalke 04 ins Gespräch gebracht, aber das ist aus zwei Gründen nicht möglich: denn Schalke ist nach wie vor ein eingetragener Verein, wo die Ausgliederung der Lizenzspieler-Abteilung bis jetzt noch stattgefunden hat – diese müsste zuerst in einer Extraform einer Kapitalgesellschaft organisiert werden – das wird derzeit schwierig werden. Und zweitens dürfte für den russischen Selfmade-Millionär Schalke doch eine Hausnummer zu groß sein. Dennoch braucht Königsblau dringend Geld, sonst sieht es bald düster aus. Glaubst du, dass Schalke zur Winterpause noch einen neuen Geldgeber findet, der dann zwei bis drei dringend benötigte Spielertransfers bezahlt?

Robin Patzwaldt: Das Beispiel Uerdingen ist jetzt seit Jahren schon ein Muster dafür, wie es nicht laufen sollte, wenn du mich fragst. Trotzdem wird es auf Schalke wohl auch irgend so eine Lösung geben müssen, wenn der Verein nicht im kommenden Sommer Geschichte sein soll. Ich bekomme von Woche zu Woche größere Zweifel, dass es sportlich noch reichen wird. Geld ist bekanntlich keines mehr da, die Mannschaft agiert blutleer. Da hilft wohl nur eine externe Finanzspritze. Und dafür sind die Zeiten aktuell bekannter Weise sehr schlecht. Es wird den Knappen nicht viel anderes übrigbleiben. Wenn sie denn überhaupt noch einen Gönner finden, der es gut mit ihnen meint und nicht nur sein Spielchen mit dem Klub spielt. Die Winterpause ist ja nicht mehr weit entfernt. Die Zeit ist schon sehr knapp. Und ob Schneider und Baum da aktuell die Richtigen sind, erscheint mir auch von Woche zu Woche zweifelhafter. Da kann man als BVB-Fan wirklich froh sein, dass sich die Probleme bei den Schwarzgelben derzeit auf vergleichsweise hohem Niveau abspielen. Immerhin hat sich der BVB am Dienstag ja noch zu einem knappen Sieg in St. Petersburg gemüht, der dem Klub den Gruppensieg in der Champions League eingebracht hat. Wie siehst du jetzt den weiteren Weg der Dortmunder?

Peter Hesse: Wir stellen ja schon seit Wochen fest: mit Lucien Favre hampelt sich der BVB im Krebsgang durch die Saison: nach zwei tollen Spielen folgt der Einbruch. Jürgen Klopp sagte prophetisch vor ein paar Tagen im Interview gegenüber der ››Welt am Sonntag‹‹: „Die Menschen denken immer, der nächste Trainer macht es sofort besser. Trainer sind nicht immer der einzige Grund, wenn es gut läuft. Und sie sind auch nicht der einzige Grund, wenn es nicht ganz so gut läuft.“ So ist es. Ich denke, Favre wird uns noch länger erhalten bleiben als uns recht ist und mit Müh und Not wird der BVB am Saisonende irgendwie einen Champions League Platz ergattern. Jetzt geht es am Samstag spielt Schwarz-Gelb an der Strobelallee gegen Stuttgart – und Favre wird sicher wieder die Startformation neu ausknobeln. Haaland fehlt ja noch weiterhin, mal sehen wer als Stürmer in die Startformation schafft. Leipzig (gegen Bremen am Samstag) und Leverkusen (gegen Hoffenheim am Sonntag) werden sich weiter als Bayernjäger in Stellung bringen und beide dürften drei Punkte einfahren. Schalke muss nach Augsburg – und wenn das nichts wird, dann wird es bitter. In der zweiten Liga ist Bochum ja ein bisschen nach dem Kantersieg gegen Düsseldorf gestrauchelt und aktuell auf einem immer noch respektablen Platz drei. Jetzt kommt Paderborn an die Castroper Straße, das dürfte zu schaffen sein, oder?

Robin Patzwaldt: Wenn Bochum ernsthaft um den Aufstieg mitspielen will, ist das ein Pflichtsieg. Ich habe aber schon so einige Spiele des VfL in dieser Saison gesehen und begeistert hat mich das gesehene eigentlich nie. Ich stelle überhaupt fest, dass mich die Liga 2 ohne Stadionzuschauer schon an meine alten Zeiten als Lokalsportreporter bei der WAZ im Kreis Recklinghausen erinnern. Das ist manchmal ein ganz schönes Gebolze. Ohne Fans im Stadion fällt das so richtig auf. Mir zumindest. Da erkennt man schon, dass zwischen Liga 1 und 2 inzwischen ein riesiger Unterschied besteht. Und das ist für die langfristige Entwicklung im Profifußball natürlich auch Gift. Die berühmte schere, sie geht immer weiter auseinander. und der VfL ist leider auf der falschen Seite dabei. Das ist bitter, denn ich erinnere mich noch gut an etliche spannende Revierderbys mit Beteiligung des VfL und sogar der SG Wattenscheid. Das ist wohl für immer vorbei, was sehr bedauerlich ist. Mal kurz zur Nationalmannschaft: Was sagst du denn zur PK von Oliver Bierhoff am vergangenen Freitag und zu der von Jogi Löw am Montag? Hat sich der DFB damit nicht einen Bärendienst erwiesen, indem beide quasi bestätigt haben, was ihnen die Fans vorwerfen. Die Weltfremdheit und die ‚Arroganz‘ fand ich erschreckend. Du auch?

Peter Hesse: Löw kapiert nicht, dass die Nationalmannschaft seit Jahren in der Außenwirkung wie ein abgetakeltes Plastikprodukt wirkt, aber bei Bierhoff und Co. ist das scheinbar in der Innenwirkung noch nicht angekommen – sonst würden sie nicht so abgehoben daherreden. Der FIFA-Fußball ist ja eine aufgeblasene Kommerzgemeinschaft, deren Diskrepanz zwischen global operierenden Unternehmen oben – und regionalen Nischenmarken ganz unten nicht mehr zu vereinen ist. Auch ein DFB-Präsident Keller weiß einfach zu wenig, was beim FC Remscheid und bei Wacker Burghausen los ist, dafür kennt er sich besser mit PSG und Real Madrid aus. Und das ist verkehrt. Dazu kommt, dass die Nation Katar bei der nächsten WM bei einer der europäischen Qualifikations-Gruppen auftreten darf.  einspielen. Der langjährige DFL-geschäftsführer und bestens verdrahteter Bundesliga-Kenner Andreas Rettig kommentierte das nicht umsonst mit den Worten: „Man sieht, dass sich in der heutigen Zeit mit Kapitaleinsatz jede Grenze verschieben lässt.“ Eine Kapital-Revolution wird in nächster Zeit nicht passieren – viele kleine Vereine werden ins Gras beißen, aber die Champagner-Etage müssen nur ein bisschen den Gürtel enger schnallen. Und die Rolle von Löw dabei? Er ist eine tragische Figur, der mit der Schicksalshaftigkeit des späten Helmut Kohl an seinem Amt festklammert. Nur ist jedem Fußballfan zwischen Kiel und Kempten schon längst klar, dass er diese Erneuerung nicht leisten kann.

Robin Patzwaldt: Zur Krönung wurde Philipp Lahm ja am Donnerstag auch noch zum Turnierdirektor der kommenden EM 2024 ernannt. Ich glaube, auf das Turnier verzichte ich dankend. Es sei denn, Klopp ist bis dahin Bundestrainer… ?

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