Spannend und diskutabel: Die „Weltordnung“ des Henry Kissinger

DSC01363 (538x600)Henry Kissinger polarisiert. Je nach eigener politischer Grundausrichtung scheiden sich an seiner Person die Geister. Auch ich werde aus der Person des Henry Kissinger bisher noch nicht so recht schlau. Ein nach Außen durchaus sympathischer Mensch, wie ich finde. Allerdings sehe ich seine Rolle in der Weltgeschichte, besonders auch im Zusammenhang mit dem Vietnamkrieg, durchaus sehr kritisch.
Über die Feiertage habe ich mich daher einmal in sein neues Buch „Weltordnung“ vertieft, und ich muss nun im Nachhinein feststellen, der Zwiespalt gegenüber seiner Person ist geblieben. Zumindest für mich.
Der 1923 in Fürth geborene Kissinger, der Deutschland zusammen mit seiner Familie 1938 in Richtung Amerika verließ, und im Jahre 1943 die Staatsbürgerschaft der USA erhielt, spielte in der Außenpolitik der Vereinigten Staaten zwischen den Jahren 1969 und 1977 bekanntlich eine sehr zentrale Rolle; er war stets Vertreter einer harten Realpolitik wie auch einer der Architekten der Entspannung im Kalten Krieg.
Von 1969 bis 1973 war Kissinger Nationaler Sicherheitsberater, von 1973 bis 1977 US-Außenminister. 1973 erhielt er (gemeinsam mit Lê Đức Thọ) den Friedensnobelpreis für das Friedensabkommen in Vietnam. Von 1977 bis 1981 war Kissinger Direktor der einflussreichen privaten US-Denkfabrik Council on Foreign Relations.
Gründe genug also, den Gedanken des inzwischen 91-jährigen einmal ein paar Stunden zu folgen. Und grundsätzlich finde ich das Buch rückblickend auch durchaus lesenswert, es beinhaltet jedoch auch erhebliche Punkte die zum Widerspruch aufrufen, nachdenklich bzw. skeptisch stimmen können.

 

„Weltordnung“ beginnt zunächst mit einer detaillierten historischen, kulturellen und philosophischen Analyse aller politisch bedeutenden Weltregionen. Dabei zeigt der bekennende Anhänger des Fußballclubs ‚Greuther Fürth‘ die verschiedenen Formen von Ordnungen auf, seien diese religiös oder andersartig geprägt.
Im Anschluss daran widmet sich der Ex-Politiker auch den Auswirkungen des Internets auf die Gesellschaft von heute und Morgen.

 
Spannend, jedoch offenkundig nicht unbedingt die Stärke des Seniors. Spätestens seine Aussichten in Richtung Zukunft kamen mir beim Lesen dann doch etwas ‚dünn‘ vor.
Insgesamt fällt auf, dass die Auswahl der historischen Ereignisse und Fakten die zur Analyse herangezogen werden, doch sehr aus Amerikanischen Blickwinkel betrachtet werden. Aber das ist bei diesem Autor ja wohl nicht wirklich anders zu erwarten gewesen.
Als im Europa der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgewachsener Leser vermisst man da doch einige Ansätze aus einer mehr europäischen bzw. Deutschen Perspektive.
Wenn die USA sicherlich auch eine Vorreiterrolle in der aktuellen Weltpolitik haben, es dreht sich schließlich nicht alles in der Weltgeschichte immer nur um sie und ihr Verhalten.
Und wenn man schon den Blickwinkel der USA in den Mittelpunkt seiner Analyse der Welt stellt, dann hätte es dem Buch Kissingers sicherlich gut zu Gesicht gestanden auch ein paar mehr kritikwürdige Ansätze mit einzuflechten.

 
Was die Rolle der Vereinigten Staaten betrifft, ist Kissinger doch vergleichsweise unkritisch. Hierdurch macht es Kissinger zudem seinen Kritikern doch sehr einfach das Buch kurz als wenig objektiv direkt abzutun, obwohl es durchaus viele interessante Ansätze und Analysen enthält.
Denn insgesamt machen es gerade der große Erfahrungsschatz und die hervorragenden analytischen Fähigkeiten des Autors recht spannend und lesenswert, wie ich finde.
Leider ist der Umgang von Henry Kissinger mit der Rolle der USA jedoch, wie erwähnt, recht unkritisch und idealistisch.

 
Wer als Leser jedoch seine kritische Grundhaltung während der Lektüre nicht aus den Augen verliert, der kann mit „Weltordnung“ sicherlich ein paar Gedanken entwickeln, welche ihn bzw. sie noch einige Zeit beschäftigen dürften.
Ich habe es jedenfalls nicht bereut mich mit diesem Buch über die Feiertage beschäftigt zu haben. Ganz im Gegenteil!

 

Gebundene Ausgabe: 480 Seiten
Verlag: C. Bertelsmann Verlag
ISBN-13: 978-3570102497
Preis: 24,99 Euro

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WALTER Stach
9 Jahre zuvor

Robin,
Kissinger war ein exelenter Außenpoltiker !
Warum?
Weil er, was die Aufgabe eines jeden Außenpoltikers zu sein hat, seine Außenpolitik ausschließlich danach gerichtet hat, was aus seiner Sicht den Interessen seines Landes, hier den Interessen der USA, dienlich erschien oder hätte schaden können.
Moral spielt in der Außenpolitik noch weniger eine Rolle als in der Poltik schlechthin. Ob das unter Handllungs- oder gar gesinnungsethischen Aspekten gut oder schlecht, begrüßens- oder veurteilenswert erscheint, mag zu diskutiern sein.
Im übrigen frage ich mich stets, wenn mit Moral in der (Außen-)Poltik argumentiert wird, ob es dann nicht lediglich um eines unter mehreren Mitteln geht, einen bestimmten Zweck, ein bestimmtes Interesse
“ zu heiligen.“

Thorsten Stumm
9 Jahre zuvor

@Stach
Ziemlich den Nagel auf den Kopf getroffen…..Kissinger ist kein Moralist sondern ein Makler des Möglichen. Leider hat sich in die Politik ein moralischer Anspruch eingeschlichen der Millionen Menschen das Leben gekostet hat und noch kosten wird. Politik, zumal Aussenpolitik, kalkuliert und moralisiert nicht. Natürlich ist nicht alles wünscheswert oder perfekt was kalte Machpolitik erdenkt…aber unterm Strich rettet sie mehr Leben als Moralisten.

Denn gegen Moralisten muss man irgendwann Krieg führen….egal ob sie ihren moralischen Anspruch auf Rasse, Nation oder Religion gründen…

Andreas
9 Jahre zuvor

„Wenn wir Henry Kissinger nach den gleichen Maßstäben beurteilen, wie wir es mit den anderen Staatschefs und Politikern in anderen Gesellschaften getan haben, z. B. in Deutschland und Japan nach dem Zweiten Weltkrieg, dann wird er sicher irgendwann als Kriegsverbrecher verurteilt werden.“

Roger Morris über seinen einstigen Chef Henry Kissinger

source: http://de.wikipedia.org/wiki/Henry_Kissinger#Kritik_und_Versuch_von_Strafverfolgung

leoluca
leoluca
9 Jahre zuvor

Nun gut, Henry Kissinger hat die nationalen Interessen der USA als Weltpolizist in Europa ebenso wie in Indochina vertreten, koste es was es wolle.

Kann man gut finden.

Nur, was eigentlich macht Wladimir Putin anders, wenn er uns mit einer alten russischen Großmachtpolitik eine politische Regression beschert: die Rückkehr des Kalten Krieg, den wir eigentlich überwunden wähnten? Man kann auch sagen: die Renationalisierung globaler Machtpolitik.

WALTER Stach
9 Jahre zuvor

leoluca -4-
1.
„Kann man gut finden“.
Ich denke, eine von den jeweiligen nationalen Interessen bestimmte, gelenkte,geleitete Außenpolitik entzieht sich der Prädikatisierung mit „gut“ oder „schlecht“. Und sie entzieht sich zudem, so meine ich, einer Bewertung durch Dritte.
Die einzelne Nation wird im Laufe i h r e r Geschichte i h r Urteil darüber abgeben, ob die jeweilige Außenpolitik, z.B. die von Kissinger für die USA, für s i e nützlich oder ehe schädlich war.

2.
„Nur, was macht Putin eigentlich anders“?
Gar nichts!!
Ich habe in manchen Beiträgen, auch hier bei den Ruhrbaronen, mehrfach betont, daß Putin russische Interessenpolitik betreibt so wie sie z.B. Kissinger „ohne jegliche moralsiche Skrupel und ggfls. wider geltendes Völkerrecht“ für die USA betrieben hat.
„Irgend jemand“ hat dazu passend -es war nach meiner Erinnerung ein US-Intellektueller- ‚mal gefragt, was denn die USA machen würden, wenn z.B. Russland mit Mexiko ein Militärbündnis abschließen würde und dazu festgestellt, daß die USA dann ähnlich wie Putin für Russland in Sachen Ukraine reagiert hätten, und zwar völlig unabhängig davon, was nach dem Völkerrecht zulässig wäre. (In Sachen Kuba haben die UAS das bekanntlich mehrfach -sh.Versuch einer Invasion in der sog.Schweinebucht, sh. die sog.Kubakrise zur Zeit Kennedys und Chrutschows- demonstriert!).

leoluca,
aber die Feststellung, daß Außenpolitik nationale Interessenspolitik ist (zu sein hat), erscheint mir selbstverständlich für alle Staaten dieser Welt; insofern ist sie „trivial“.

So erwarte ich -selbstverständlich- auch von deutscher Außenpolitik, daß sie stets von der Pflicht bestimmt wird,die Interessens Deutschlands wahrzunehmen:
z.B. in Sachen Westorientierung unter Adenauer, z.B. in Sachen Ost-Poltik Brandt, z.B. bezogen auf
EU-Mitgliedschaft, Euro-Einführung, NATO-Mitgliedschaft, Militäreinsätze in…….und, und, und……….;
es wäre zumindest fragwürdig, wenn außenpolitische Entscheidungen, außenpolitische „Weichenstellung“ durch eine Budnesregierung primär deshab getroffen würden, weil man damit willfährig pirmär die Wünsche Dritter befrieidgen wollte, ggfls. wider die deutschen Interessen.

Damit keine Mißverständnisse aufkommen:
Persönlcih halte ich es im deutschen Interessen für geboten, weil auch im Rücklick für nützlich, daß Deutschland Mitglied der EU ist, Mitglied der NATO ist, für die Einführung des Euro gestritten hat u.a.mehr.

Bei so manchem Militäreinsatz der Bundeswehr -sh.u.a.Afganistan- bin mir bezüglich der Motive für diesen Einsatz und bezüglich seiner Abwicklung nicht so sicher, daß dabei die Wahrung deutscher Interessen letztendlich bestimmend waren und nicht alleine der Wunsch Dritter.

Zur Zeit frage ich mich, inwieweit die deutsche Außenpolitik in der Ukranie-Krise letztendlich bestimmt, gelenkt und geleitet wird von d e u t s c h e n Interessen!
Aber diese Frage, die ich mir stelle, scheint ja mehrheitlich in Deutschland mit einem „ja,selbstverständlich“ beantwortet zu werden bzw. sie stellt sich der großen Mehrheit der Menschen in Deutschland erst gar nicht , was ich zu respektieren habe.

leoluca
leoluca
9 Jahre zuvor

@Walter Stach

Ich denke, eine Außenpolitik wie zu Kissingers Zeiten werden die USA heute nicht mehr machen, weil sie es aus innerer Kraft nicht mehr können und weil sich die globale Macht heute auf relativ viele Zentren aufteilt. Wie schwach die USA geworden sind, sieht man leider sehr deutlich an ihrer Hilf- und Tatenlosigkeit im Nahen Osten.

Die Antwort darauf, eine Weltpolitik im Sinne einer diplomatisch erreichten Machtbalance, eines Interessenausgleichs, gibt es allerdings auch nicht. Sie wäre dringend nötig nach einem Jahr der heißen und kalten Kriege.

Die Renationalisierung von Politik, wie sie von Putins Russland ausgeht und leider auch in den EU-Ländern auf wachsende Sympathien stößt, halte ich für eine wirkliche, beängstigende Regression. Ich hatte mal die Hoffnung, als Michail Gorbatschow vom „gemeinsamen Haus Europa“ sprach, dass das möglich sei. Das läge tatsächlich im nationalen Interesse Deutschlands.

WALTER Stach
9 Jahre zuvor

-6-leoluca
1.
„werden die USA heute nicht mehr machen…..“.

Wäre da nicht zu differenzieren?

Ich kann mir vorstellen, daß ein republikanischer Präsident wesentlich riguroser -und rücksichtsloser- US-Interessenspolitik betreiben würde als das derzeit unter Obama zu sein scheint und das wider alle Realitäten in einem sich neu organisierenden und formierenden Gefüge wirtschaftlicher und militärischer Macht.

Und sollte man nicht zudem davon sprechen, daß die USA zwar weiterhin -auch unter Obama- versuchen, Interessenspolitik mit den Mitteln einer Weltmacht -wirtschaftlich, militärisch- wie zu Kissingers-Zeiten zu betreiben, aber zunehmend registrieren müssen, daß diese Versuche -militärisch, wirtschaftlich- in den Widerständen anderer Staaten -sh.besnders die sog.BRIG-Staaten-ihre Grenzen finden?

2.
Ich denke, daß das öffentliche Bewußtsein nicht, nicht immer hinreichend registriert, daß „nationale Interessenspolitik“ nicht im Widerstreit zu stehen hat zur Poltik internationaler Kooperation , z.B. auch im Sinne des „gemeinsamen Hauses Europa“, das auch Russland einzubeziehen hätte.

„Internationale Kooperationen“, z.B. in der EU, z.B. in der NATO, z.B. unter dem „gemeinsame Dach Europa -nebst Russland- , sind ja mehr und mehr zwingend im nationalen Interesse Deutschlands (!!)gebotgen, ganz besonders mit Blick auf alldas, was sich weltweit in den nächsten 2o-3o Jahren tun wird.

Reinhard Matern
9 Jahre zuvor

Danke Robin, für den Hinweis. Heute Morgen ist ein ausführlicherer Beitrag auf ZEIT-Online erschienen:
http://www.zeit.de/2014/52/henry-kissinger-weltordnung-uebersetzung

Ich habe an Kissinger geschätzt, dass er – Walter Stach hat auch darauf hingewiesen – weniger als politischer Missionar, sondern eher als Machtpolitiker auftrat, der sich um Gleichgewichte bemühte. In der ZEIT hebt der Rezensent den Westfälischen Frieden als Maßstab hervor.

Das 20. Jahrhundert war weltpolitisch gleichermaßen durch ‚Ideen‘ als auch Schlachten geprägt, dies scheint sich im 21. Jhd. fortzusetzen. Vielleicht sollte man sich bewusst machen, dass eine bloße Übernahme von ‚Ideen‘ nicht ausreicht: man schaue z.B. nach Dresden (PEGIDA)… Europaweit hat der Rechtsextremismus an Boden gewonnen.

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